Was bedeutet das Gutachten zur AfD in Brandenburg?
Veröffentlicht: Donnerstag, 14.08.2025 16:30

Rechtsextremismus
Potsdam (dpa) - Der Verfassungsschutz in Brandenburg wirft der AfD eine Radikalisierung vor und stuft sie als vierten Landesverband in Deutschland als gesichert rechtsextremistisch ein. Ihr politischer Kurs sei gegen die Menschenwürde, die Demokratie und den Rechtsstaat gerichtet - daran hat Innenminister René Wilke (parteilos) in Potsdam keinen Zweifel. Die in einem Gutachten gesammelten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes hat er nun öffentlich gemacht. Zuvor war die AfD in Brandenburg noch als Verdachtsfall eingestuft worden.
Der Fall ist wegen der juristischen Auseinandersetzung gewissermaßen in der Schwebe. Die AfD klagt gegen die Einstufung, eine Gerichtsentscheidung steht noch aus. Auch die AfD-Bundespartei wurde Anfang Mai als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Dagegen geht die AfD ebenfalls juristisch vor. Bis zu einer Gerichtsentscheidung in dieser Sache hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Höherstufung daher wieder auf Eis gelegt.
Welche Erkenntnisse hat der Verfassungsschutz dargelegt?
Der brandenburgische Verfassungsschutz kommt in einem 142 Seiten starken Gutachten - offiziell «Einstufungsvermerk» genannt - zu dem Schluss, dass die AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv ist. Sie verstoße gegen die Menschenwürde und wolle den demokratischen Staat mit seinen Institutionen zerstören, sagte Innenminister Wilke.
Die Behörde stützt sich auf Äußerungen und Positionen vor allem von führenden Köpfen, darunter der Landesvorsitzende René Springer und Landtagsfraktionschef Hans-Christoph Bernd. Sie nennt auch enge Kontakte zu extremistischen Gruppierungen, zum Magazin «Compact», der «Identitären Bewegung» um den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner und das inzwischen aufgelöste «Institut für Staatspolitik».
Der Innenminister sagte bei der Vorstellung des Gutachtens, die AfD greife die im Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit der Menschenwürde an, weil sie einen Unterschied mache in der Art, wie viel Wert und wie viele Rechte ein Mensch habe. «Wer nicht weiß ist und wer zum muslimischen Glauben gehört, gehört auf keinen Fall zu Deutschland», fasste Verfassungsschutzchef Wilfried Peters eine Position in der Debatte um «Remigration» zusammen. Der Politologe Jan Thomeczek von der Universität Potsdam sagte der dpa zum Gutachten: «Das, was dort belegt wird, scheint mir ziemlich eindeutig zu sein.»
Was meint die freiheitlich-demokratische Grundordnung?
Sie umfasst die grundlegenden Werte und Strukturen, auf denen das deutsche Staatssystem basiert. Dazu gehören unter anderem die Achtung der im Grundgesetz festgeschriebenen Menschenrechte, insbesondere die unantastbare Würde des Menschen sowie die Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus.
Wieso wird das Gutachten öffentlich gemacht?
Im Zusammenhang mit der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz wäre es beinahe zu einer Regierungskrise in Brandenburg gekommen. Die damalige SPD-Innenministerin Katrin Lange trat im Mai im innerparteilichen Streit über den Umgang mit der Partei und dem Verfassungsschutz zurück. Zuvor hatte sie den früheren Verfassungsschutzchef Jörg Müller, der für das Gutachten verantwortlich ist, entlassen.
Die AfD redet den Erkenntnisgewinn des Gutachtens klein und forderte Innenminister Wilke auf, den Vermerk zur Einstufung - also die 142 Seiten - öffentlich zu machen. Doch laut Wilke hatte die AfD selbst mit ihrem Vorgehen vor Gericht für den Verschluss des Gutachtens gesorgt. Daraufhin zog die AfD ihren Eilantrag nach einigem Hickhack zurück. Damit wurde ein Offenlegen des zunächst als vertraulich eingestuften Gutachtens mit einigen Schwärzungen möglich. Es ist im Internet abrufbar.
Wie reagiert die AfD?
Die AfD wirft dem Verfassungsschutz Willkür vor, bezeichnet den Nachrichtendienst als eine «Gefahr für die Demokratie» und will die Einstufung stoppen. In dem Gutachten habe er «in keinem Satz etwas gefunden, wo ich sagen würde, da sind wir zu weit gegangen, das ist nicht akzeptabel - im Gegenteil», sagte AfD-Fraktionschef Berndt. «Der ganze Vermerk zu unserer Einstufung ist getragen von einer Feindseligkeit gegen die AfD.»
Die Landespartei in Brandenburg ist nach eigenen Angaben auf rund 3.450 Mitglieder gewachsen. Sie stellt die stärkste Oppositionsfraktion im Landtag in Potsdam. In einer Umfrage zur Sonntagsfrage lag die AfD im Juni mit 32 Prozent der Stimmen vorn.
Wie ist die Lage in anderen Bundesländern?
Klarheit, ob die Einstufung des Verfassungsschutzes auch gerichtlich bestätigt wird, kann lange dauern. In Sachsen-Anhalt ist über eine im April 2024 eingereichte Klage der AfD gegen die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch noch nicht entschieden.
In Thüringen geht die AfD mit ihrem Landespartei- und Fraktionschef Björn Höcke zwar nicht gerichtlich gegen die 2021 erfolgte Einstufung vor. Es gibt in Erfurt jedoch einen Untersuchungsausschuss zum Verfassungsschutz, der sich auch mit der Einstufung der Partei befasst. Die AfD in Sachen blieb vor dem Oberverwaltungsgericht Bautzen erfolglos.
Welche Folgen hat die Einstufung?
«Der Effekt für die Anhänger kann unterschiedlich ausfallen, insgesamt - das haben wir in den anderen Bundesländern gesehen - ist aber keine große Abkehr zu erwarten», schätzt der Politologe Thomeczek. Problematisch könnte es aber für Beamte werden. «Möglich ist es, dass hier einige Beamte, die AfD-Mitglieder sind, vorsorglich austreten.»
Denn die neue Einstufung der AfD löst Diskussionen über den Umgang mit ihren Mitgliedern im Staatsdienst aus. Ein genereller Beschäftigungsausschluss aufgrund der Parteimitgliedschaft verbindet sich damit nicht. Dies müsse weiter im Einzelfall geprüft werden, hieß es in Potsdam.
Etliche andere Bundesländer plädierten jedenfalls für strengere Überprüfungen. Brandenburg hat einen nicht unumstrittenen Verfassungstreue-Check für angehende Beamte eingeführt - mit einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Zudem wurden Forderungen laut, die Parteienfinanzierung zu überprüfen. Umstritten bleibt weiterhin ein AfD-Verbotsverfahren, das Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf den Weg bringen könnten.

